Hindukusch

Zukunft für Afghanistan

Afghanistan

Fläche: 647.500 km2 (etwa doppelt so groß wie Deutschland)

Einwohnerzahl: 31.056.997 (Juli 2006) geschätzt, Bevölkerungsdichte: 44,0 Einwohner pro qkm. Prognostizierte Verzehnfachung der Bevölkerung zwischen 1950 und 2050, 30 bis 45 Prozent der männlichen Bevölkerung sind zwischen 15 und 29 Jahren, jährlicher Zuwachs dieser Gruppe zur Zeit ca. 500.000.  Geschätztes Bevölkerungswachstum 3,54 %, durchschnittliche Lebenserwartung: 45 Jahre  Es gab noch nie eine Volkszählung: Im Süden leben Paschtunen, im Norden Tadschiken und Usbeken. Prozentangaben sind nur eine grobe Schätzung. Paschtunen ca. 40 %, Tadschiken ca. 30 %, Hazara ca. 20 %, Usbeken ca. 5 %. Daneben existieren noch mehrere kleinere Gruppen von u. a. Aimaken, Turkmenen, Nuristani und Belutschen. 

Landessprachen: Dari 50%, Paschtu 35%, 57 weitere Sprachen. 78 % der Bevölkerung leben auf dem Land und nur 22 % in den Städten.

5529 km Grenzen zu: Iran, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan; China, Pakistan. Das Land ist größtenteils Gebirgsland. Weniger als 10 % der Landesfläche liegen unterhalb von 600 m. Die Gebirge des Hindukusch (bis 7.500 m Höhe) und des Sefid bestimmen die Landschaft. Zwischen dem Becken von Kabul und dem nördlichen Landesteil besteht seit 1964 eine winterfeste Straßenverbindung über den Gebirgskamm mit einem fast 3 km langen Tunnel (Salangpass-Straße). Die Landschaften zwischen der Hauptstadt Kabul und dem Khaiberpass an der Grenze zu Pakistan sind der politische und wirtschaftliche Kernraum des Landes. Kontinentales Klima mit heißen Sommern und sehr kalten Wintern, mäßige Niederschläge, Temperaturspektrum -50 bis +53 °C. Häufige Dürreperioden.

Größere Städte mit Umland: Kabul 3,8 Mill. Ew., Kandahar 339.200 Ew., Mazar-i-Sharif 1.239.800 Ew., Herat 266.600 Ew., Dschalalabad 358.800 Ew., und Kundus 218.000 Ew. Schienennetz 24,6 km. Straßen 21.000 km davon 13,3% befestigt. Hohe Minengefahr, Schifffahrt auf den Grenzflüssen Amudarja und Pjandsch. Brücke nach Tadschikistan im Bau. 44 Flugplätze. 2 Mobilfunknetze decken 70 % des Landes ab.

Die Analphabetenrate ist mit ca. 70% sehr hoch. Es gibt mehrere Universitäten, davon zwei in Kabul und je eine in Dschalalabad und Herat und Mazar. 99 % der Bevölkerung sind Muslime, davon etwa vier Fünftel meist hanafitische Sunniten und ein Fünftel imamitische Schiiten. Der Islam in Afghanistan ist über die Jahrhunderte im Sinn des paschtunischen Rechts sehr konservativ ausgelegt worden. Die Burka-Pflicht wurde 2001 offiziell wieder aufgehoben, die Verfassung von 2004 bestimmt, dass kein Gesetz dem Islam (Scharia) widersprechen dürfe.

2003 Bruttoinlandsprodukt geschätzt: 20 Mrd. US-Dollar (Bilanzsumme der Deutschen Bank 2005: 992 Mrd. Euro). Landwirtschaftssektor 60 %, Industrie 15 %, Dienstleistungen 25 %. Bodenschätze : Eisen- und Kupfererze, Erdgas, Kohle und Halbedelsteine. Kleinindustrie: Textilien, Seife, Möbel, Schuhe, Düngemittel und Zement, Teppiche. Nur etwa 12 % der Staatsfläche landwirtschaftlich nutzbar, meist von künstlicher Bewässerung abhängig, 2001 waren 67 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig: Weizen, Früchte, Nüsse, Karakul, Schafe, Wolle und Fleisch. Etwa die Hälfte des landwirtschaftlichen Bruttoinlandsproduktes beruht auf dem Handel mit Opium (Stand 2002). Die Anbaufläche für Schlafmohn steigt kontinuierlich, im Jahr 2006 erneut um 59 Prozent. Nach Angaben des UNO-Büros für Drogen und Verbrechen werden im Jahr 2006 über 6000 Tonnen Opium geerntet, etwa 92 Prozent der gesamten Weltproduktion. Verhältnis Import zu Export 4:1. Importiert werden: Strom, Erdöl, Nahrungsmittel, Mobiltelefone etc. aus Pakistan, Singapur, Japan und der EU. Exportiert wurden Nahrung und Früchte vor allem nach Pakistan und Iran.

Das Land gliedert sich in 34 Provinzen. Seit der Verfassung von 2004 hat Afghanistan ein präsidiales Regierungssystem (nach USA Vorbild). Der Präsident als Chef der Exekutive wird direkt vom Volk für eine Dauer von fünf Jahren gewählt. Der Präsident (Hamid Karsai seit November 2004) ist Staats- und Regierungsoberhaupt und Oberbefehlshaber der militärischen Streitkräfte. Zu seinen Befugnissen gehören außerdem die Bestimmung seines Kabinetts (z.Zt. 30 Minister), Richterernennung, sowie die Besetzung von Positionen im Militär, der Polizei und Provinzregierungen mit Zustimmung des Parlaments.

Die Legislative besteht aus zwei Häusern: der Wolesi Dschirga (Haus des Volkes) und der Meschrano Dschirga (Haus der Älteren). Das Parlament (Wolesi Dschirga) besteht aus 249 Sitzen, wobei 68 für Frauen und zehn für die Nomaden-Minderheit der Kuchis vorbehalten sind. Die Abgeordneten werden durch direkte Wahl bestimmt, wobei die Anzahl der Sitze im Verhältnis zur Einwohnerzahl der jeweiligen Provinz stehen. Es müssen mindestens zwei Frauen pro Provinz gewählt werden. Eine Legislaturperiode dauert fünf Jahre. Zur Wahl sind keine Parteien zugelassen. (Parlamentswahlen waren am 18. September 2005) Die Meschrano Dschirga besteht zu je einem Drittel aus Delegierten, die von den Provinz- bzw. Distrikt-Räten für vier Jahre bestimmt werden, sowie zu einem Drittel aus Abgeordneten, die vom Präsident bestimmt werden, wobei die Hälfte aus Frauen bestehen muss.

Geschichte: In der Antike gehörte das Gebiet des heutigen Afghanistan zum Perserreich und wurde später von den Nachkommen der Truppen Alexanders des Großen regiert. Nach der Invasion der muslimischen Araber dominierten bis zum Mittelalter persische Lokaldynastien, die dem muslimischen Kalifat unterstanden. Der Paschtune Ahmed Shah Durrani begründete im Jahr 1747 ein Königreich, das als Vorläufer Afghanistans gilt. Es zerbrach schon bald wieder an inneren Streitigkeiten und Einmischungen von außen. 1839 besetzte eine anglo-indische Armee das Land. 1842 wurden sie am Khyber-Pass entscheidend geschlagen: 15.000 britische und indische Soldaten und deren Familienmitglieder wurden getötet. Weitere Eroberungsversuche der Briten (1878, 1880) blieben erfolglos, Aufgrund vieler Aufstände in Afghanistan wurde 1893 von Großbritannien das Land durch die Durand-Linie geteilt, die in etwa der heutigen Grenze zu Pakistan entspricht. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Afghanistan im August 1919 als konstitutionelle Monarchie unabhängig. (Verfassungen von 1923, 1931 und 1964)

Die Modernisierung Afghanistans begann unter Habibullah Khan. Ab 1903 wurden Oberschulen eingerichtet, ab 1914 bestand ein öffentliches Erziehungssystem mit einem 12-jährigen Bildungsgang und Lehrerseminaren. Zugleich wurde das politische System liberalisiert, die ersten Hospitäler eröffnet und elektrischer Strom produziert. Eine moderne Zeitung von Muhamed Tarzi ab 1911 trug wesentlich zur Bildung einer Nationalbewegung bei. Nach der Ermordung Habibullahs im Februar 1919 setzte sein Sohn Amanullah (1919 - 1928) durch Kooperationsabkommen mit der Türkei (Atatürk) und der jungen Sowjetunion die Reformen fort. Traditional und religiös motivierter Widerstand von Stammesfürsten gegen die Reformen führte zur Abdankung Amanullahs 1928.
Es begann eine Periode der Reaktion, Frauen mussten sich wieder verschleiern, alte Heiratsbräuche lebten wieder auf, Museen und Bibliotheken wurden geschlossen, die Schüler moderner Oberschulen bekamen keine Stelle, Angehörige der Bürokratie wurden gefangengesetzt und gefoltert, die Schulen wurden der Jurisdiktion, der religiösen Führer unterstellt, Zeitungen verboten.

Mit Unterstützung Englands eroberte 1929 der fortschrittliche Nadir Sha die Macht, aber er wurde 1933 ermordetet. Sein Sohn Zahir Sha ließ wieder Zeitungen zu, säkularisierte das öffentliche Leben und förderte die Ausbildung von Frauen. Dari und Paschtu wurden Unterrichtssprachen. Nach 1945 entstand an den Universitäten in der liberalen Studentenschaft ohne Aussicht auf Arbeitsplätze eine kommunistisch orientierte Opposition gegen die Allmacht der Königsfamilie. Im kalten Krieg gelang es dem Ministerpräsidenten Daud ab 1953 umfangreiche Wirtschaftshilfe sowohl von USA als auch der Sowjetunion zu erhalten. Die Landwirtschaft konnte die afghanische Bevölkerung ohne Importe ernähren. Schon in den 60er Jahren setzte der Opiumanbau ein, der Unterschied von Stadt und Land wuchs, unterschiedliche Weltsichten entstanden bei den städtischen Eliten und der konservativen Landbevölkerung. Die akademische Arbeitslosigkeit wuchs beständig.

Ein Putsch am 17. Juli 1973 beseitigte die Monarchie und verwandelte Afghanistan in eine demokratische Republik. Die dabei führende Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DPA) war in zwei kommunistische Gruppen gespalten, die sich weniger ideologisch als soziokulturell unterschieden, aber heftig bekämpften.
Nach einem erneuten Staatsstreich und einer Heeresmeuterei in Herat im März 1979 kam es zum endgültigen Bruch, die unterlegene Gruppe rief die Sowjetunion zu Hilfe, die im Dezember 1979 ins Land einrückte. Der zehn Jahre dauernde bewaffnete Kampf kostete mehr als eine Million Tote, 6 Millionen flohen nach Pakistan, Iran, USA und Europa. Der paschtunische Bevölkerungsteil verlor seine beherrschende Stellung. Mit der Dezimierung der Familien durch den Krieg und der vorangegangenen städtischen Entwurzelung durch Modernisierung wurden zunehmend Ethnien und Religion als identitätsstiftend instrumentalisiert. Die umfangreichen Entwicklungsmaßnahmen der Sowjetunion in Afghanistan konnten nur beschränkt wirksam werden.

Mit dem Abrücken der Sowjets brach unter den vier großen Gruppierungen der Mujaheddin ein offener Krieg aus: Massud mit der Basis in Nordpakistan, Dustom mit der Basis beim usbekischen Bevölkerungsteil, Abdul Ali Mazari mit der Basis der Hazara Minorität und Hekmatyar mit der Basis einerseits im Nordwesten und bei den Paschtunen. Die Zerstörung Kabuls und die Verwüstung des Landes, wechselseitige Massaker großen Ausmaßes begleiteten diese Kämpfe. Die Taliban waren ursprünglich eine Mujaheddingruppe unter anderen. Ihren Massenzulauf erhielten sie aus den Flüchtlingslagern in Pakistan und den Waisenkindern der Koranschulen (Madrasa) vor allem in Belutschistan (Pakistan). Finanziert wurden die Taliban von Pakistan und Saudi-Arabien, vermutlich mit US amerikanischer Refinanzierung. Bis 1995 brachten sie 2/3 des Landes unter ihre militärische Kontrolle und stellten die öffentliche Sicherheit wieder her. Sicherheit, paschtunische Ethik und religiöser Traditionalismus stellten eine wesentliche Basis ihrer Akzeptanz dar.

Nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 und nachdem der UN-Sicherheitsrat den USA das Recht auf Selbstverteidigung zugesprochen hatte, führte eine Allianz unter Führung der USA zum Sturz des herrschenden Talibansystems. Hierbei stellte die Nordallianz den Großteil der Bodentruppen. Die USA haben eine 20.000 Mann starke Truppe im Rahmen von Operation "Enduring Freedom" stationiert, die immer noch gegen die Taliban kämpft. Am 28. Juni 2004 beschloss die NATO, die Truppenstärke in Afghanistan von 6.500 Soldaten der ISAF auf insgesamt 10.000 Soldaten zu erhöhen. Die afghanischen Streitkräfte mit dem Namen "Afghan National Army" verfügen zurzeit über 27.000 Mann, von denen 14.500 Kampfeinheiten sind.

(Irrtümer vorbehalten) © Dr. Michael Berger, Stand Dez. 2006